Ein Ausblick zum genannten Thema bietet das entsprechende Kapitel im Jahresbericht 2002 der ComCom: "In der wohlhabenden Schweiz zeichnen sich sowohl die privaten Haushalte als auch die Wirt-schaft durch hohe Ausstattungsgrade bei Festnetzanschlüssen, Mobiltelefonen, Compute-rausrüstung und Internetzugang aus. Die Schweiz bietet somit grundsätzlich einen fruchtbaren Boden für die Entwicklung der Breitbanddienste. Diese Einschätzung bestätigt der zunehmende Verkaufsboom insbesondere bei den ADSL-Breitbandanschlüssen, die sich bisher jedoch wohl erst für Vielsurfer lohnen. Die Nachfrage nach höheren Bandbreiten wird mittelfristig aufgrund neuer Anwendungen jedoch stark zunehmen.
So dürfte bereits in naher Zukunft der Erfolg jener Telecom-Anbieter, die sich nicht auf spezielle Nischenangebote beschränken, davon abhängen, mehr als nur Telefonate vermitteln und Daten übertragen zu können. Aktuell wachsen die Telekommunikation über Festnetz und Mobilfunk mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zusammen, was als Konvergenz bezeichnet wird. Dies eröffnet den Telecom-Firmen neue, lukrative Geschäftsfelder wie das Anbieten von Medien- und Unterhaltungsinhalten (TV, Radio, Video-on-demand, Online-Spiele usw.) oder von neuen Kommunikationsformen (z.B. Video-Konferenz). Solche Anwendungen setzen zunehmend höhere Datenübertragungs-raten voraus. Die Kommission hat anlässlich ihrer Studienreise gesehen, dass mit der neuen, funktionierenden VDSL-Technologie bedeutend höhere Bandbreiten über das normale Kupferkabel der letzten Meile übertragbar sind als mit ADSL. Über den Telefonanschluss wird eine Familie gleichzeitig telefonieren, auf dem Internet surfen, fernsehen und einen selbst gewählten Film herunterladen können. Diese technologische Weiterentwicklung dürfte bei Privathaushalten das teure Ersetzen der Kupferkabel durch Glasfaser-Technologie für längere Zeit überflüssig machen.
Ausschlaggebend für die längerfristige freie Entfaltung des Breitbandmarktes ist die Wettbe-werbssituation auf der letzten Meile. Im Unterschied zum Mobilfunk gibt es beim Festnetzan-schluss, auf der sogenannten "letzten Meile", nur eine einzige die ganze Schweiz abdeckende Infrastruktur - und eine Verdoppelung dieses Netzes wäre volkswirtschaftlich ineffizient. Der Incumbent hat hier bei Infrastruktur und Diensten eine monopolistische Stellung. Die alternativen Anbieter haben keinen direkten Zugang zur letzten Meile; sie können lediglich als Zwischen-händler die vom Incumbent komplett vorgegebenen Angebote an Endkunden weiterverkaufen. Echter Wettbewerb findet somit nicht statt.
Auch die TV-Kabelnetze können nur punktuell als Konkurrenz angesehen werden, denn sie erstrecken sich nicht über die ganze Schweiz und sind erst teilweise internettauglich [1]. Cable-com, die mit einem Marktanteil von über 50% die weitaus grösste Kabelnetzbetreiberin ist, hat nach ausgedehnten Tests angekündigt, im Jahr 2003 die Sprachtelefonie im Rahmen eines Consumer-Tests einführen zu wollen. Falls sich dieses Angebot bewährt, so könnte punktuell eine zweite Anbieterin, die aufgrund des eigenen Anschlussnetzes ein Vollsortiment an Festnetz-Diensten anbieten kann, am Markt auftreten - aus Wettbewerbssicht kann allerdings die Entstehung auch nur regionaler Duopole anstelle eines Monopols nicht wirklich befriedigen. Zwar dürfte diese Konstellation die Swisscom bezüglich technologische Innovation und Ausweitung ihrer Angebote in Richtung Medieninhalte anspornen. Ohne Zugang zur letzten Meile ist zu befürchten, dass vorwiegend die alternativen Festnetz-Anbieter den möglichen Konkurrenzdruck zu spüren bekommen werden.
Spätestens seit Mitte 2002 zeigt sich deutlich, von welch strategischer Bedeutung der Breit-bandmarkt für die Telecom-Firmen ist: Die Anbieter versuchen wie beim Wachstumsmarkt "Mobilfunk" über die Subventionierungen ihrer Spezialangebote (Verbilligung von ADSL-Modems, Erlass von Installationsgebühren) möglichst viele Kunden an sich zu binden. Mit andern Worten ist der harte Kampf um Marktanteile im so zukunftsträchtigen Breitbandmarkt angelaufen und die Anbieter sind gezwungen, kräftig in die Kundenakquisition zu investieren. Der Incumbent kann bei dieser Marktaufteilung von seiner klaren Vorzugsposition als Grossist profitieren. Die alternativen Anbieter haben mit kleinen (oder ev. gar inexistenten) Margen auszukommen [2].
Nach Ansicht der Kommission spricht dies für eine möglichst rasche Öffnung der letzten Meile. Denn kommt die Liberalisierung erst, wenn sich starke Marktpositionen schon etabliert haben, so können diese nachträglich kaum mehr aufgebrochen werden. Dies ist auch eine Lehre aus der im europäische Vergleich späten Öffnung des schweizerischen Mobilfunk-marktes: Die Konkurrenten konnten zusammen nur leicht mehr als ein Drittel der Mobilfunkkunden gewinnen. Und die Schweiz hat nicht nur vergleichsweise hohe Mobiltarife, sondern liegt auch bei der Marktaufteilung deutlich hinter allen EU-Ländern zurück [3].
Erst mit der Entbündelung entsteht Chancengleichheit. Die Entbündelung sollte mittelfristig den Markt neu beleben und zu einer grösseren Angebotsvielfalt führen. Diesem innovations- und investitionsfördernden Konkurrenzdruck wird sich ein kompetitiver Incumbent nicht entziehen können.
Für die alternativen Anbieter ist die Entbündelung eine Chance, die aber auch mit beträchtlichen Investitionen verbunden ist. Es sind die Anbieter, die Leitungen entbündeln wollen, welche die Kosten für die Installation und Beherbergung diverser Geräte in den Ortszentralen des Incum-bents zu tragen haben. Dann aber können die Anbieter die Übertragungstechnologie frei wählen, direkte Kundenbeziehung aufbauen und ihren Klienten entweder ein Vollsortiment anbieten oder spezifische Kundenwünsche erfüllen. Für die Konsumenten resultieren daraus neue Wahlmöglichkeiten und günstigere Preise.
Diese Dynamik wird sich auch in den Randregionen positiv auswirken. Durch einen einheitlichen Preis für entbündelte Leitungen werden die peripheren Gebiete begünstigt. Die alternativen Betreiber können ihre Angebote schrittweise räumlich ausdehnen. Dies führt zu einem Wettbewerbsdruck in Gebieten, die bisher keine Angebotsvielfalt kannten.
Ein Incumbent hat auch auf einem entbündelten Breitbandmarkt die komfortabelste Ausgangs-lage: Er hat weitaus am meisten, oft treue Kunden und verfügt über einen grossen Erfahrungs-vorsprung. Zudem wird bei sinkenden Preisen das Marktvolumen bei den Breitbanddiensten dynamisch ansteigen. Davon dürfte der Incumbent am stärksten profitieren, sofern er konkur-renzfähige Angebote macht - dieser Mechanismus war bereits beim Mobilfunk zu beobachten. Auch wird dem Incumbent durch die Entbündelung nichts "weggenommen". Er wird einzig auf Kundenwunsch hin dazu verpflichtet, den Konkurrenten einzelne Leitungen zu einem ange-messenen Preis, der auch einen Gewinnanteil enthält, zu vermieten.
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[1] Gemäss Angaben in den Medien besitzt Cablecom Anfang 2003 rund 500'000 Anschlüsse, die für die bidirektionale Kommunikation fertig ausgerüstet sind, d.h. 33% ihrer 1.5 Mio. Anschlüsse. Bei Swisscom sind rund 3.8 Millionen Telefonanschlüsse ADSL-fähig, d.h. ca. 95% aller Telefonanschlüsse in der ganzen Schweiz (vgl. Basler Zeitung vom 17.2.2003, S. 11 sowie Medienmitteilung der Swisscom vom 3.12.2002).
[2] WEKO untersucht wegen vermuteter Diskriminierung der Marktteilnehmer. Medienmitteilung der Wettbewerbs-kommission (WEKO) vom 7. Mai 2002.
[3] Vgl. Kapitel "Marktentwicklung: statistische Eckwerte", Abb. 2."